Matthew Eck: Das entfernte Ufer

Rezension für „Literaturen“, Sept 2008:

Mogadishu bleibt ungenannt. Sparsam hat Matthew Eck die Hinweise auf den realgeschichtlichen Kontext seines Debütromans im Text verstreut. Doch denkt man die Autor-Biographie beim Lesen ohnehin ständig mit. Eck, so erfährt man im Klappentext, war in den Neunzigern als Soldat der US-Army in Haiti und Somalia stationiert. Seine Docu-Fiction über den Kriegseinsatz am afrikanischen Horn, die in den Staaten hoch gelobt und ausgezeichnet wurde, ist nun in der Übersetzung von Bettina Abarbanell auf Deutsch erschienen. „Ein literarisches Maschinengewehr“, prangt groß ein Zitat der US-Kritik auf dem Umschlag. Solche Metaphorik scheint als verkaufsfördernd zu gelten.

Es beginnt für den Ich-Erzähler und seine Einheit auf dem Dach des höchsten Gebäudes der Stadt. Als Aufklärungstrupp überschauen sie, mehr noch: diktieren sie das Kriegsgeschehen. Aber schon bald wird es keine erhöhte Perspektive mehr geben. Der Glaube an Übersicht und Kontrollierbarkeit erweist sich als pure Hybris. Nachdem ein Mitglied des Trupps zwei unschuldige Jungen erschießt, weil die Soldaten spielende Kinder für den Feind gehalten haben, kehrt sich die Anfangssituation um. Die Späher werden zu Gesuchten.

Es folgt eine Flucht, die nur immer weiter in räumliche und moralische Verirrungen führt. Den Soldaten erscheint die labyrinthische Stadt so undurchschaubar wie ihre Gesetze. Und weil sie zunächst ignorant bleiben für die Regeln der Gesellschaft, in die sie einbrechen, werden sie zu Feinden einer Bevölkerung, der sie eigentlich hatten helfen wollen. Lebensmittel verteilen, lautete ursprünglich die Mission. Doch daran ist nicht mehr zu denken. Purer Selbsterhaltungstrieb bestimmt nun das Handeln. Die militärischen Kämpfe – und auch die gegen die Hitze, den Monsun, die Angst, das Gewissen und den drohenden Wahnsinn, dienen gerade keinem höheren Zweck. Der vermeintlich humanitäre Einsatz droht das Leid nur zu vergrößern.

Der Kampf gegen die Kriegsherren: „eine Herausforderung, die wir liebten“, hatte der Erzähler zu Beginn noch erklärt. Am Ende ist diese verwegene Mischung aus Abenteuerlust und Sendungsbewusstsein ganz dem Wissen um die eigene Schuld gewichen. Und dem übermächtigen Wunsch nach Heimkehr, die als eines der ambivalenten Leitmotive immer wieder durch den Text geistert. So bezeugt der Roman insgesamt das Absurde der Vorstellung von einem sauberen Krieg und erfasst die Aporie, die darin besteht, helfen zu wollen mit Waffengewalt.

Trotzdem ist das „Das entfernte Ufer“ in manchen Punkten auch ein Ärgernis. Das vielleicht größte: Während Eck sonst die Hinfälligkeit von Planungen in den Wirren des Krieges durch harte Schnitte und abrupte Wendungen inszeniert, findet die unerbittlichste Tötungsszene des Romans außerhalb der Kriegshandlungen statt – eine archaische Ehrenmord-Szene, geschildert in quälender Ausführlichkeit. Indirekt erläutert die Episode selbst ihre Funktion: die Ohnmacht des Beobachters zeigen, der eingreifen will und doch, paralysiert, weder handeln noch wegschauen kann. Das geschieht allerdings, indem Eck das Klischee von den gesetzlosen Wilden bedient. Und darin, dass innerhalb des Romans die Brutalität dieser Szene diejenige des Krieges noch überbietet, liegt die Gefahr, dessen Gräuel wieder zu relativieren.

Matthew Eck: Das entfernte Ufer. Aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Abarbanell. Klett-Cotta, Stuttgart 2008. 190 S., 18,90 €.