Herzzeit: Briefwechsel Bachmann-Celan

Rezension für „Tagesanzeiger“ Zürich (19.8.08.):

„Lass uns die Worte finden“

Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan ist mehr als das bewegende Zeugnis einer Freundschaft

Am Anfang, als erster von knapp 200 Briefen, steht ein Widmungsgedicht. „Für Ingeborg“, mit dem Titel „In Ägypten“. Paul Celan schreibt es am 23. Mai 1948, in der Zeit der ersten Begegnung mit Ingeborg Bachmann und ihrer gerade beginnenden Liebesbeziehung. Es sind elf Verse, die bereits Elementares enthalten über die Verbindung zwischen ihr, deren Vater früh in die NSDAP eingetreten war, und ihm, dem Holocaust-Überlebenden, dessen Eltern von den Nazis ermordet wurden. Nur im Bewusstsein der jüngsten Geschichte ist die gemeinsame Gegenwart lebbar, im Gedenken an die Opfer der Shoah und im Wissen um die so konträre Herkunft.

Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan ist ein zutiefst bewegendes Zeugnis einer dramatisch verlaufenden Liebe und Freundschaft, zugleich ein bedeutendes Dokument der Nachkriegshistorie. Einbrüche des Schweigens gehören von Anfang an zu diesem Dialog. Als Celan im Juli 1948 Wien Richtung Paris verlässt, scheint nicht direkt eine Briefkorrespondenz einzusetzen. Dann jedoch folgt ein beiderseitiges Ringen um das Fortbestehen ihrer Liebesbeziehung, wieder geprägt von langen Phasen des Schweigens, verhinderten Besuchen und zahlreichen Missverständnissen. Überhaupt bleibt „Missverständnis“ ein zentrales Wort.

„Lass uns nicht mehr von Dingen sprechen, die unwiederbringlich sind“, schreibt schließlich Celan im Februar 1952. „Ich habe alles auf eine Karte gesetzt“, antwortet Bachmann, „und ich habe verloren.“ Nach Celans Heirat mit Gisèle de Lestrange bricht der Briefkontakt zunächst fast ganz ab, doch tauschen sie ihre Gedichtbände, wie Bachmann schreibt, „um getröstet zu sein“.

Als sich beide jedoch im Oktober 1957 bei einer Tagung in Wuppertal treffen, flammt ihre Liebe wieder auf. Jetzt und in den Folgemonaten schreibt Celan seine leidenschaftlichsten Briefe. Bachmann versucht Zurückhaltung, erinnert sich und ihn an seine familiäre Situation. Im Mai 58 endet offenbar die Affäre, im Oktober schreibt sie ihm von ihrer neuen Beziehung zu Max Frisch.

Doch bei allem Privaten wirft die Korrespondenz zunehmend auch Licht auf die (literarische) Nachkriegsgeschichte. Die Zusammenhänge werden umso deutlicher durch den vorbildlichen Kommentar der Edition und die unbedingt richtige Entscheidung, auch die Briefe zwischen Gisèle Celan-Lestrange und Bachmann sowie zwischen Celan und Frisch in den Band aufzunehmen. Auf erschreckende Weise zeigt das Buch, welche Schmähungen Celan im deutschen Literaturbetrieb über sich ergehen lassen musste: Das Befremden, auf das er bei der Gruppe 47 stieß; die perfide Feindseligkeit von Teilen des Publikums nach einer Lesung in Bonn; die Rezension Günter Blöckers zum Gedichtband „Sprachgitter“.

Celan, dessen Schreiben ganz von der Wirklichkeit her kommt – ausgerechnet ihm attestiert Blöcker eine Gedichtsprache ohne Realitätsbezug. Graphische Gebilde nennt er Celans Texte, die ja gerade nicht aufs Optische zielen, nicht angeschaut, sondern als Sprach- und Erinnerungsvorgang vollzogen werden wollen. Dass die „Todesfuge“ Augenmusik sei – Celan hat solche Äußerungen als Gräberschändung verstanden.

Diese Vorfälle sind es, die zu den größten Bewährungsproben der Freundschaft werden. Doch nicht immer fällt die Reaktion derer, von denen Celan sich Beistand erhofft, glücklich aus. Max Frisch schreibt eine Antwort, die Celan tief verletzen musste: Ob nicht die Eitelkeit des kritisierten Schriftstellers der Grund für dessen Bestürzung sei? Bachmann reagiert auf den „Notschrei“ (Celan) mit reichlich Verspätung, und auch sie verfehlt die richtigen Worte. Danach ringen beide monatelang um die klärende Aussprache. „Lass uns die Worte finden“, telegraphiert Bachmann von Zürich nach Paris.

Doch die Verletzungen bleiben, führen beinahe zum endgültigen Bruch, während sich gleichzeitig, seit Mitte des Jahres 1960, die sogenannte Goll-Affäre zuzuspitzen beginnt. Celan, so hieß es bereits 1953, soll plagiiert haben. Dass die Vorwürfe absurd sind, verhindert nicht die Langwierigkeit der Diffamierungskampagne. Bachmann bezieht gemeinsam mit Freunden öffentlich Position für Celan, dieser dankt für ihre Hilfe. Aber auch diese Phase ist voller Missverständnisse und Kränkungen für beide. Briefe von gewichtigem Inhalt werden geschrieben, aber nicht versandt. Ende 1961 bricht der Schriftverkehr zwischen Bachmann und Celan, bis auf zwei Nachzügler, dann ganz ab. Die letzte persönliche Begegnung datierte bereits vom November 1960.

Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan: Der Briefwechsel, herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Frankfurt am Main 2008. 401 Seiten. 24,50 Euro.